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Story  »  Do, 23/11/2017

Eine Studienreise in Bosnien

Jugendarbeit als kulturelle Avantgarde


Eine Delegation aus Vertreter*innen des Amtes für Jugendarbeit, ARCI Bolzano, netz | Offene Jugendarbeit, AGJD und Südtiroler Jugendring hat eine Reise nach Bosnien unternommen, um die bedeutendsten Orte des Kriegsgeschehens von 1992-1995 zu besuchen und die Verantwortlichen der Jugendstrukturen vor Ort zu treffen.

Mostar
Die Stadt der berühmten Brücke, die am 9. November 1993 durch die kroatische Armee in Bosnien zerstört wurde, empfängt uns bei prasselndem Regen. Die Brücke, sowie Großteils des malerischen historischen Ortskernes, wurden rekonstruiert, die Spuren des Krieges sind aber noch überall sichtbar. Einschusslöcher in allen Größen sind an den Fassaden und Dächern zahlreicher Gebäude deutlich zu erkennen, genauso wie die klare Abgrenzung zwischen muslimischer und katholischer Stadthälfte die tiefe Spaltung, die die Ereignisse von ’92-’95 hinterlassen haben, plastisch veranschaulicht. Doch der Besuch des Jugend- und Kulturzentrums Abrašević, das von einer ethnisch gemischten Gruppe junger Menschen nach den Grundsätzen der Interkulturalität gegründet und genau auf der früheren Frontlinie konstruiert wurde, zeigt uns wie Jugendarbeit zur kulturellen Avantgarde für die Konstruktion konkreter Formen friedlichen Zusammenlebens werden kann.

Sarajevo
Wir erreichen die Hauptstadt Bosniens bei schwindendem Tageslicht und fahren gleich durch die berüchtigte Sniper Alley, deren Bilder von um ihr Leben laufenden Zivilisten unter Beschuss serbischer Scharfschützen vor unseren Augen schweben. Die Hügel rund um die Stadt haben etwas Schauriges und Bedrohliches, wohl mehr für uns als für die Bewohner Sarajevos die seit 22 Jahren in Frieden leben, wenigstens auf den ersten Blick.
Am nächsten Tag besuchen wir den Sarajevo-Tunnel, der wenige Monate nach Beginn der Belagerung unter der Landebahn des Flughafens konstruiert wurde und zur Versorgung der Stadt diente. Wie sich Sarajevo verteidigte und trotz schwerster Verluste (rund 11000 Zivilisten, darunter ca. 1000 Kinder) 44 Monate Belagerung überlebte, erklärt uns im anschließenden Treffen General Divjak.

Jovan Divjak war Kommandeur der bosnischen Territorialeinheiten und verteidigte die Stadt und deren muslimische Mehrheit gegen die serbischen Belagerungstruppen, trotz überwältigender Überlegenheit letzterer. Ein Detail beeindruckt uns außerordentlich und flößt uns tiefsten Respekt ein: Er war der einzige ethnisch serbische General der bosnischen Armee.
Jovan Divjak gründete nach Ende des Krieges eine Stiftung zur Förderung von Jugendarbeit, die bereits mehr als 2000 Stipendien für bedürftige Jugendliche zugewiesen hat und traumatisierte junge Menschen psychologisch betreut.

Srebrenica
Bis zur Katastrophe von ’92-’95 war Srebrenica eine Kleinstadt mit knapp 12000 Einwohnern. Bei Ausbruch des Krieges wird die Ortschaft in kürzester Zeit Zufluchtsort für alle Muslime der umliegenden Dörfer, die den von serbischen Nationalisten im Detail geschmiedeten Plänen der ethnischen Säuberung zu Opfer fallen und deren EinwohnerInnen auf brutalste Weise gemordet oder vertrieben werden. Srebrenica wird 3 Jahre lang eingekesselt, die humanitären Bedingungen sind unbeschreiblich.
Im April 1993 wird das Gebiet zur UN-Schutzzone erklärt. Und wird dennoch am 11. Juli 1995 durch serbische Truppen, angeführt von General Ratko Mladić, gestürmt. 8300 Zivilisten männlichen Geschlechts ab dem Alter von 12 Jahren werden hingerichtet und in Massengräbern verschüttet. Wir besuchen den Friedhof von Potočari, ein paar hundert Meter von der UN-Basis wo die Opfer Zuflucht gesucht hatten und die holländischen Blauhelme tatenlos zusahen, wie sich das Grauen vollstreckte. Der Anblick tausender weißer Grabstele, jede einzelne ein Schrei in der Finsternis, ist unerträglich.

Tuzla
Wir besuchen das Identifikationszentrum der Opfer von Srebrenica. Dazu nur Schweigen. Am Nachmittag erwartet uns aber noch eine Begegnung, die möglicherweise alles übertrifft was wir bisher erlebt haben.
Wir treffen Zijo Ribić. Er ist Moslem und Rom. In der Nacht vom 12. Juli 1992 ist er 7 Jahre alt. Eine serbische paramilitärische Einheit tötet seine Eltern und sieben Geschwister, er selber wird verwundet aber überlebt. Die Täter werden identifiziert und 2013 in Belgrad verurteilt. Bis zum Freispruch zwei Jahre später. Und nach all dem unsagbaren Leid das ihm zugefügt wurde, spricht er Worte aus, die uns in ihrer unermesslichen Größe überwältigen: „Ich will Gerechtigkeit. Aber ich hasse sie nicht. Und ich verzeihe ihnen.“