Jugendliche werden oft und gerne als Problemgruppe wahrgenommen, obgleich es bislang an einer einheitlichen Definition für Jugendliche mangelt. Eine Gruppe ausschließlich auf Basis des Alters festzulegen, wäre irreführend, bleiben doch andere Faktoren, wie z. B. die soziale Stellung, unberücksichtigt. Keine Kinder mehr, aber noch nicht in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen, befinden sich Jugendliche sowohl körperlich als auch sozial in einer Phase des Übergangs. Sie begehren aus den unterschiedlichsten Gründen gegen etablierte Ordnungen und Autoritäten auf und hinterfragen bestehende Grenzen und Konventionen. Aber selbst unter sehr schwierigen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gehen Jugendliche erst dann massenhaft auf die Straße, wenn sie keine Perspektiven für den Übertritt ins Erwachsenenleben bzw. für ihre Zukunft sehen (Stichwort: Fridays for Future). Was Jugendliche eint, ist die Sorge um ihren eigenen Platz in der Gesellschaft und ihrer Zukunft.
Jugendliche mit ihren Sorgen und Ängsten wahr- und ernst zu nehmen, mit ihnen in Resonanz zu gehen, sie zu befähigen, mit ihrem Leben und seinen Anforderungen zurecht zu kommen, sie mit Orientierung und Sinn zu versorgen, das ist eine allgemein gesellschaftliche Aufgabe, im Besonderen auch des Bildungssystems. Dazu zähle ich auch die Einrichtungen der Jugendarbeit. Die Schule als Teil des gesellschaftlichen Systems ist heute vordergründig damit beschäftigt, die entsprechenden Arbeitskräfte passgenau für den Arbeitsmarkt bereitzustellen - das ist ja auch die zentrale Forderung der Wirtschaft an das Schulsystem (Stichwort Ökonomisierung der Schule). Bildung ist heute vor allem eines - Ausbildung zur Arbeitsplatzerhaltung.
Die Vieldimensionalität tatsächlicher Lebenszusammenhänge kommt dabei in den seltensten Fällen vor. Dass damit unsere Kinder und Jugendlichen nur äußerst unzureichend auf die großen Umbrüche unserer Zeit und die damit zusammenhängenden Herausforderungen ihres künftigen Lebens vorbereitet werden, darüber sind sich mittlerweile viele einig. Denn die Zauberwörter der Zukunft heißen „Selbstorganisation“, „Selbstverantwortung“ und „Selbstermächtigung“. Seine Lebenswelt aktiv zu gestalten, Pläne zu schmieden und das, was man tut, als sinnvoll zu erachten sind Fähigkeiten, mit denen es Jugendlichen gelingt, das Leben als Erwachsene zu meistern.
Bildung in diesem Zusammenhang bedeutet, möglichst viele junge Menschen dazu zu befähigen, ein gedankenreiches und sinnerfülltes Leben zu führen. Und nicht die genaue Anpassung an den Arbeitsmarkt mit dem Ziel, die Effizienz und damit die Produktivität zu steigern. Es ist nicht das Steigen des Bruttoinlandsproduktes, welches zu einem glücklicheren und erfüllteren Leben beiträgt. Ja, es muss steigen, um unseren Sozialstaat alter Machart finanzieren zu können. Es sind aber andere Aspekte, welche zu einem beseelten Leben beitragen: Achtsamkeit, Respekt, eine Kultur des Vertrauens, Selbstbestätigung, Selbstwirksamkeit, die Kunst, mit seinen Ansprüchen umzugehen, keine Existenzangst haben zu müssen, ein gutes Umfeld, Freunde usw.
Gerade in diesem Zusammenhang sehe ich die Aufgabe der Jugendarbeit und auch deren Chance, nicht einen bestimmten Ausschnitt des Lebens herauszugreifen, sondern einen ganzheitlichen Blick auf die Kinder und Jugendlichen und deren Lebenssituationen zu kultivieren. Jugendarbeit hat eine universelle Funktion in der Gesellschaft, und keine Spezialfunktion von speziellen Experten, für spezielle Gruppen in speziellen Situationen. Jugendarbeit kann und soll im Kern der Gesellschaft eine zentrale Querschnittsaufgabe übernehmen.
Anspruch und Aufgabe der Jugendarbeit sollte es sein, gesellschaftspolitische oder auch sozialpolitische Entwicklungen vorwegzunehmen und ihrer Zeit voraus zu sein. Dabei ist es nicht ihre Aufgabe, Antworten zu geben, sondern die richtigen Fragen zu stellen. Und hinzuhören, was uns die Kinder und Jugendlichen sagen möchten und zu sagen haben. Denn wer verändern will, muss erst einmal verstehen. Mit welchen Herausforderungen Jugendarbeit in Zukunft konfrontiert sein wird und wie sie sich selbst verändern und weiterentwickeln muss, hängt eng mit den gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen. Jugendarbeit ist in diesem Sinne auch der Spiegel des gesellschaftlichen Wandels.