Sie haben noch nie was von E-Girls, Soft Girls und Vscogirls, Trap, Cosplay, Sea-Punks, Health-Goths und Cutester gehört? Egal, das ist nicht weiter wichtig, um zu verstehen, dass Jugendkultur lebt und dass sie, so wie in der Vergangenheit immer wieder geschehen, unsere Gesellschaft nachhaltig verändern wird. Dazu müssen wir aber die Rahmenbedingungen verstehen und Vorurteile abbauen.
Alle eingangs erwähnten Subkulturen sind in den letzten Jahren entstanden oder von Jugendlichen neu interpretiert worden. Es gäbe sie ohne den technologischen Fortschritt nicht. Die Funktionsweise von Apps wie Instagram, Snapchat, Tik Tok und Co. prägt junge Menschen und ihre Lebenswelt – ihre Kultur. Jugendliche sind heute so vernetzt und - das wird oft vergessen - so mobil wie nie zuvor. Sie treffen sich online und offline mit Menschen deren Interessen sie teilen. Dabei ist es für sie egal ob das Treffen im virtuellen Online-Rollenspiel oder in der nächstgelegenen Metropole stattfindet. Junge Menschen sind heute gezwungen sich digitale Freiräume zu schaffen. Im öffentlichen Raum ist Jugendkultur verpönt und findet dort folglich immer weniger statt. Also gilt es die unendlichen Weiten der Online-Welt zu erforschen und zu besetzen. Jugendliche wollen sich nicht in erster Linie der Kontrolle durch die Erwachsenen entziehen, sondern vielmehr selbstbestimmt handeln - ohne Bevormundung, Bewertung oder Bespaßung von außen. Unsere Leistungsgesellschaft beruhend auf Messbarkeit und Vergleichbarkeit, Materialismus und Ichbezogenheit haben alt wie jung geprägt. Alternatives Engagement wird gar nicht wahrgenommen, geschweige denn wertgeschätzt. Es sind Konkurrenzsituationen in allen Bereichen unseres Lebens entstanden. Jede Jugendkultur wurde seitdem kommerzialisiert und profitabel gemacht. Die Spitze dieser Entwicklung war die letzte große Jugendkultur seiner Art – der Hip Hop.
Viele Jugendliche sind nicht mehr Teil von einer, sondern von vielen Jugendkulturen, eine Verschmelzung und Überschneidung sozusagen. Am Vorbild der Nachhaltigkeit wird Vergangenes recycelt und durch neue Ideen ergänzt. Ganz im Geist einer rasanten Entwicklung können Zugehörigkeiten gewechselt werden. Einmal Punk immer Punk ist nicht mehr wichtig. Ein Fußballfan, der seinen Verein wechselt, war früher undenkbar und ist heute durchaus möglich.
Soviel zu den Rahmenbedingungen. Nun zu den Vorurteilen: In der Jugendforschung geht man davon aus, dass sich in der Vergangenheit rund 10 bis 20% der Jugendlichen in sozialen Bewegungen, Sub- und Jugendkulturen engagierten. Die Mehrheit folgte schon immer dem Mainstream - DIE EINE Jugendkultur gab es noch nie. Dies gilt auch für die 68er-Generation. Sie wurde in den Medien und der Literatur als breite Bewegung beschrieben, die es so nie gab. 1969 verkaufte sich in Deutschland Heintje oder Roy Black besser als z.B. die Rolling Stones. Oder andersrum, überlegen Sie mal wie viele Hippies, Punks oder Raver es in Ihrer Maturaklasse gab. Wahrscheinlich sehr wenige. Der Einfluss dieser Subkulturen auf Populärkultur und Gesellschaft darf trotzdem nicht unterschätzt werden. Ältere Generationen glauben häufig die Jugend von heute sei fauler, dümmer und respektloser als sie es selbst waren. Das ist eine Rosarotzeichnung der eigenen Vergangenheit. Wahrnehmung, Gewohnheiten und Sprache verändern sich laufend mit jeder Generation. Die erwachsene Sicht auf junge Menschen ist nie frei von der eigenen Prägung und kann historisch betrachtet nie objektiv sein.
Nun, was bedeutet dies für heutige Jugendkulturen? Erstens werden Jugendkulturen als solche nicht mehr erkannt und zweitens haben sie einen schweren Stand. Die Reaktionen auf die bekannteste und vielleicht bedeutendste Jugendbewegung unserer Zeit - die Fridays for Future - zeigen eindrücklich die verzerrte Perspektive der Erwachsenenwelt. Obwohl es im deutschsprachigen Raum noch nie - und erst recht nicht in Südtirol - eine so breite Schülerbewegung gab, wird versucht die aktive Minderheit gegenüber der passiven Mehrheit auszuspielen. Trotzdem durchdringt die Agenda der Fridays for Future Politik und Wirtschaft. Auch wenn noch nicht abzusehen ist welche Veränderungen erwirkt werden können, scheint diese Bewegung in ihrer Wirkung den 68ern in nichts nachzustehen.
Südtirol will junge Menschen halten, seine Unternehmer*innen suchen händeringend junge Fachkräfte, aber die werden da hingehen, wo man ihnen mit Verständnis begegnet und wo sie mit Respekt behandelt werden. Erfolgreich werden die Regionen sein, die Jugendkultur als Probierfeld für Kreativität und Engagement ermöglichen.
Weiterführende Links:
Interview mit Klaus Farin auf salto.bz
Respekt! Die Stiftung zur Förderung von jugendkultureller Vielfalt und Toleranz, Forschung und Bildung
Hirnkost Verlag (ehemals Archiv der Jugendkulturen)
Happy Locals: Buchtipp für Entscheidungsträger*innen in Politik und Wirtschaft
Webseite von Klaus Farin