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Story  »  Di, 28/04/2020

Leistung als Imperativ

Gastbeitrag von Gianluca Battistel


Die Vorbereitung der Jugendlichen auf die Arbeitswelt gehört zu den zentralen Aufträgen sämtlicher Bildungseinrichtungen und in erster Linie der Schule. Junge Menschen werden im frühesten Alter mit der Tatsache konfrontiert, dass sie recht bald auf dem Arbeitsmarkt einen Job suchen werden und sich Kompetenzen, Fertigkeiten, Zertifizierungen und Studientitel aneignen müssen, um den Erfordernissen ihrer potentiellen Arbeitgeber*innen gerecht zu werden. Erfolg und Wohlstand, Selbstverwirklichung und Karriere werden größtenteils von ihrer Leistungsfähigkeit im Laufe ihres Bildungsweges abhängen. Leistungsdruck gehört somit zum Alltag der Jugendlichen, nicht alle besitzen jedoch die selben charakterlichen und psychologischen Ressourcen, diesem Stand zu halten.

Die Freizeitgestaltung ist sehr oft ebenfalls durch Leistungsdruck geprägt. Sportliche Tätigkeit wird meist bereits im Kindesalter mit Wettkampf verbunden, wobei die Eltern eine ausschlaggebende Rolle spielen, welche Werte und Haltungen den eigenen Kindern in der Ausübung sportlicher Disziplinen vermittelt werden. Dass Sieg und Erfolg im Laufe der letzten Jahrzehnte vermehrt in den Mittelpunkt von Kinder- und Jugendsport gerückt sind, ist kaum zu leugnen. Spiel, Spaß, Sozialisierung, ethische Werte geraten viel zu oft, und vor allem viel zu früh, in den Hintergrund.

Die Leistungsgesellschaft prägt somit junge Menschen in fast all ihren Tätigkeiten und trägt zu deren Identitätsbildung wesentlich bei. Die Kehrseite: Nicht alle sind diesem permanenten Druck gewachsen. Wo Selbstbehauptung am Erfolg gemessen wird, führt Misserfolg unmittelbar zur Existenz- und Identitätskrise. Und gerade hier spielt Jugendarbeit eine überaus wertvolle Rolle.

Jugendarbeit bietet Freiräume, in denen sich Jugendliche frei entfalten können, ohne an einer zu erbringenden Leistung gemessen zu werden. Die Besucher*innen eines Jugendzentrums werden als Individuen akzeptiert, völlig unabhängig von ihrem Wissen, ihren Fähigkeiten und ihren Talenten. Gerade in einer durch Marktwirtschaft und Konkurrenzzwang geprägten Gesellschaft ist die Existenz solcher Freiräume von unschätzbarem Wert. Sie entziehen sich dem utilitaristischen, rein ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalkül und schaffen geschützte Territorien, in denen individuelle Entfaltung und spontane Sozialisierung abseits der allgemein dominierenden Ideologie der Profitmaximierung durch Leistungssteigerung stattfinden können.

Die verschiedenen Träger*innen der Jugendarbeit in Südtirol haben die Aufgabe, diese Räume zu bewahren und, wo möglich, neue zu schaffen. Jugendliche sind mehr als zukünftige Arbeitskräfte und es liegt auch an uns, sie vor dem kategorischen Imperativ der Leistung zu schützen.

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