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Story  »  Do, 19/09/2024

Die verbotene Frucht


Dass der Mensch begehrt, was er nicht hat, ist (leider) nur allzu natürlich. Sein Dasein fristet er seit jeher damit, seiner angeborenen Unvollständigkeit entgegenzuwirken, indem er Mängel zu beseitigen versucht. Um zu überleben ist der Mensch allein nicht genug, er braucht dazu seine Umwelt, er ernährt sich von ihr, er vermehrt sich in ihr, ist abhängig von ihr. Schritte in die richtige Richtung belohnt zum einen das Gehirn mit Botenstoffen und zum anderen die Evolution mit Fortbestand der Spezies. Genau hier kommt es zu einer spannenden Herausforderung für uns Menschen, wir sind fest verankert im Hier und Jetzt und eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Zukunft ist ein mühsames Gedankenexperiment. So fällt es dem Belohnungszentrum leicht, die Oberhand zu behalten und mögliche schädliche Konsequenzen können ausgeblendet oder ignoriert werden.  Wir müssen mit den Folgen leben, die ein berauschtes Hirn mit sich bringt. Hätten wir nach dem ersten Schluck Bier direkt einen Kater: kein Mensch würde für dieses Gefühl Alkohol trinken. Aber zwischen dem Drink und dem Schädelbrummen passiert etwas Interessantes: unser Hirn ist berauscht und es fühlt sich für uns gut an.

Rausch

Als Rausch bezeichnet man in der Medizin psychische Ausnahmezustände, die nach Aufnahme psychotroper Substanzen auftreten. Sie gehen mit Bewusstseins-, Affekt- und Verhaltensstörungen, sowie mit einer veränderten Wahrnehmung und in der Regel eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten einher (3). Je nach Substanz und Situation anders: Wirkungen können sedativer, deliranter, stimulierender, narkotischer, dissoziativer, empathogener, psychedelischer Natur sein und jedes Individuum reagiert unterschiedlich auf die diversen berauschenden Stoffe. Egal ob aufputschend oder beruhigend, bewusstseinserweiternd oder -einschränkend, Rauschzustände haben eine faszinierende Anziehungskraft auf die Menschheit und von allen bekannten Zivilisationen wurden seit jeher Substanzen genutzt, um das Bewusstsein zu verändern. Das Spiel mit Rausch ist Bestandteil der menschlichen Kultur. Sei es aus reiner Neugier, sei es, um mit Stress zurechtzukommen; die einen versprachen sich transzendentale Erfahrungen und Kontaktaufnahme mit den verehrten Gottheiten, andere erkannten die Möglichkeit, Schmerzen erträglicher zu gestalten oder sie ganz auszublenden.

Körpereigene Substanzen können ähnliche Wirkungen haben. Wir sind evolutionär so programmiert, dass wir Endorphin, Adrenalin, Dopamin, Oxytozin etc. gut finden. Welches Mittel dazu führt, dass im Belohnungszentrum die Party startet, ist also prinzipiell egal, im Moment! Mit den Folgen sieht es anders aus. Vielen Hobbyläufer*innen dürfte das sogenannte „Runners high“ ein Begriff sein: gerät man beim Sport in diesen wohltuenden Flow, hat man ein Gefühl der Euphorie, der Leichtigkeit, die Atmung verändert sich und man glaubt, ewig so weiterlaufen zu können.  Zudem hat man in der Regel durch die sportliche Aktivität seinem Körper etwas Gutes getan, es droht im schlimmsten Fall ein Muskelkater.

Von Alkohol verspricht man sich einen heiteren Abend, lockerer, enthemmter, lustiger. Doch der Morgen danach lässt einen oft jeden Schluck bereuen.

Zur Fortpflanzung lockt uns die Natur mit einer Belohnung - in Form eines Hormoncocktails. Und dafür, dass menschlicher Nachwuchs länger als bei allen anderen Lebewesen im Schutz der Familie aufwächst, ist zumindest zum Teil ein Hormonrausch verantwortlich. Dass wir den Rausch begehren, ist folglich nur natürlich und tatsächlich auch nicht allein dem Menschen vorbehalten. In der Tierwelt gibt es so manche Rauschkugel (z.B. einige Vogelarten oder Elefanten) die sich mit vergorenen Beeren einen heiteren Abend machen und auch tierische Gehirne steuern auf hormonellem Wege deren Verhalten in bestimmte, für die jeweilige Spezies sinnvolle Richtung.

Mit Hilfe von diversen Substanzen, die man seinem Körper zufügt, ihm also „gibt“ (vgl. Gabe bzw. Gift) kann man natürliche Wirkungen simulieren und unnatürliche Wirkungen hervorrufen. Und es ist mitunter vor allem die Dosis, die einen Stoff, praktisch jeden Stoff, zum Gift macht. Je nach Dosierung kann ein und dieselbe Substanz harmlos, heilend, schädlich oder gar tödlich sein. Frei nach Paracelsus: nichts ist Gift, alles ist Gift, die Dosis macht das Gift.

Kultur

Die Kultur spielt ebenso eine zentrale Rolle dabei, welche Substanz als Gift und welcher damit einhergehende Rausch als Vergiftung gesehen wird. Alkoholkonsum ist bei uns weit verbreitet, toleriert, oft sogar erwünscht. Im Islam hingegen ist er verboten. Tabak wird überall geraucht, Cannabis vielerorts nicht toleriert, Heroin ist verboten. Gleichzeitig ist die Wirkung von Opiaten besonders in der Medizin geschätzt, was wiederum dazu führt, dass ständig neue Derivate in Umlauf gelangen. 

Jugendkultur, Subkulturen, soziale Medien oder Musik halten dem einen Spiegel vor: In mehreren Songs besingt bspw. Rapper Capital Bra das beruhigende, aber auch euphorisierende und enthemmende Schmerzmittel Tilidin. Das macht (besonders junge) Zuhörer neugierig: Innerhalb weniger Jahre sind die Tilidin-Verschreibungen bei gesetzlich Versicherten (in Deutschland) in der Altersgruppe der 15- bis 20-Jährigen um das Dreißigfache gestiegen.

Effekte und Wirkungen werden auch ausgenutzt, um andere Menschen gefügig zu machen, man denke nur an die so genannten K.O.-Tropfen. Im „richtigen“ Rauschzustand wird praktisch jeder zu einem willenlosen, skrupellosen Attentäter, was sich sowohl Dschihadisten, Kriegstreiber als auch Drogenclans tagtäglich zunutze machen. Dafür sorgt Captagon - ein Medikament, von dem man sich ursprünglich Fortschritte in der Behandlung von ADHS versprach.

Ob Brauchtum oder Missbrauch, Lifestyle oder Abhängigkeit, der Rausch gehört zur Gesellschaft, gehört zum Menschsein. Daher ist es besonders wichtig, gerade vulnerable Gruppen, wie Kinder und Jugendliche, vor den schädlichen Folgen zu bewahren und sich des Reizes der verbotenen und sehr tief hängenden Früchte bewusst zu sein.

Das gilt für die häufig unterschätzten (vielleicht weil legalen) und doch schädlichsten Drogen Alkohol und Tabak – sie ergeben in Summe die meisten Todesopfer in Zusammenhang mit Drogenkonsum (Nutt, 2) - ebenso wie für andere Substanzen aber auch für Verhaltensweisen, die aufgrund ihrer Intensität berauschend sein können und somit unglaublich attraktiv scheinen (z.B.: Spielsucht).

Vorleben, hinschauen, neugierig sein, fragen, reden und zuhören!

Erwachsene sind Vorbilder, ob sie wollen oder nicht. Und häufig widersprechen deren Angewohnheiten dem erhobenen Zeigefinger. Ein Schluck Alkohol, ein Zug an einer Zigarette oder am Joint; Kinder sehen (und riechen) das von klein auf und werden daher wahrscheinlicher selbst den ersten Schluck nehmen, selbst eine Zigarette rauchen, wenn sie in bestimmten Situationen möglichst erwachsen wirken wollen oder sie das Gefühl haben, etwas gegen den erlebten Stress unternehmen oder ihre Leistung optimieren zu müssen. 

Meistens geht es Jugendlichen darum, den Spaß zu intensivieren, auf einer Party, in Gesellschaft anderer. Doch Substanzen werden vermehrt auch genutzt, um mit Schwierigkeiten fertig zu werden, allein. Schulische Probleme, Perspektivlosigkeit, keine Freunde oder soziale Unterstützung zu haben, mit der Welt nicht zurechtzukommen, können Gründe für Substanzkonsum sein. Und solch ein Konsum wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Missbrauch, denn er befriedigt nur scheinbar ein Bedürfnis, schafft aber mit großer Wahrscheinlichkeit ein neues Problem, das der Abhängigkeit oder Sucht. Wenn man ohne nicht mehr kann, wenn das tägliche Leben davon bestimmt und eingeschränkt wird, wenn sich alle Gedanken nur noch um die Substanz, das Verhalten, den Rausch drehen, dann ist Handeln notwendig.

In solchen Fällen ist es ratsam, darauf zu reagieren, das Gespräch zu suchen, ohne Vorwürfe oder Anklage, sondern aus sorgender Neugier. Die Gründe für den Konsum bzw. die Motive sind ausschlaggebend, diese erkennt man durch Zuhören, nicht durch Verbote. Häufig liegt dem Konsum ein anderes Problem zugrunde, ein Mangel, den man durch die Substanz zu beseitigen versucht, durch eine Verhaltensweise überspielt. Solange dieser Mangel verspürt wird, besteht die Gefahr eines Rückfalls oder der Substitution.

Einige nützliche links:

  1. sabes.it
  2. young-direct.it
  3. hands-bz.it
  4. forum-p.it
  5. infopoint.bz
  6. familydirekt.elterntelefon.it

QUELLEN:

  1. von Heyden, Jungaberle H., Majić T., Hrsg. (2018) „Handbuch Psychoaktive Substanzen“; Springer 2018
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Droge
  3. https://flexikon.doccheck.com/de/Rausch
  4. https://www.kenn-dein-limit.de/alkoholberatung/informationen-fuer-eltern
  5. https://www.nzz.ch/feuilleton/rausch-warum-berauschen-wir-uns-ld.1725661

 


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