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Story  »  Do, 04/07/2019

Kein Bock auf Südtirol

Ein Plädoyer für Freiräume und Jugendkultur


Zwischen den Abschlussprüfungen in den Mittelschulen, der Matura und dem Semesterende an der Uni Bozen fanden im Juni zahlreiche Abschlussveranstaltungen in Südtirol statt. Während die meisten Veranstaltungen ohne weiteres Medienecho über die Bühne gingen, fiel in der Jugendkulturszene ein Ereignis besonders negativ auf. Für den 14. Juni planten die Studierenden der Uni Bozen ihre Semester-Abschluss-Feier. Die Organisator*innen sagten die Veranstaltung wenige Tage vorher ab, die Begründung „neue bürokratische Verfahren der Gemeinde Bozen“. Tobias „Tobe“ Planer, Bozner Gemeinderat, Sprecher der Grünen Fraktion und treibende Kraft innerhalb der Bozner Kulturszene, stellte auf seinem privaten FB-Profil die Frage was hier schief laufe und klagte an, dass Bozen nach 22 Jahren noch immer keine richtige Studentenstadt sei. Die Veranstaltung war bis 23.00 Uhr geplant, keine ungewöhnlich späte Uhrzeit.

Auch Thomas Kobler, Kulturarbeiter im Ost West Club in Meran, legte am 18. Juni mit einem Gastbeitrag auf Salto.bz nach. Kobler prangerte an, die öffentlichen Plätze seien in Südtirol immer mehr zu Orten geworden, an denen größere Menschenansammlungen nur gewünscht seien, wenn ein bestimmtes marktökonomisches Potential bestünde. „Jugendliche sollen sich wahrscheinlich damit zufriedengeben, einen Platz zu bespielen der so viel Lässigkeit und Lockerheit versprüht, wie ein Friedhof im Novembernebel“ schreibt Kobler. Weiters stellte er einen sehr interessanten Zusammenhang zu einer Studie her, die im März dieses Jahres von der Handelskammer Bozen veröffentlicht wurde.

Die Studie wurde vom WIFO dem Institut für Wirtschaftsforschung der Handelskammer Bozen verfasst und beschreibt auf 60 Seiten, dass mehr qualifizierte Arbeitskräfte und Akademiker*innen Südtirol verlassen (oder nach dem Studium nicht nach Südtirol zurückkehren) als zuwandern. Die Handelskammer formulierte in ihrer Presseaussendung zur Studie zwar bildungs- und wirtschaftspolitische aber keine kulturpolitischen Forderungen. Genau da setzt Kobler an: „Das Verhindern von Jugendkultur und das Beschränken des öffentlichen (Frei)Raumes ist natürlich nicht nur der einzig sinnvolle Erklärungszusammenhang der greift, aber durchaus einer der mit dazu beiträgt, dass junge Menschen schlichtweg keine Lust mehr auf Südtirol haben.“ Eine These, die nicht neu ist. Die Absage einer unbedeutsam scheinenden Semester-Abschluss-Feier gibt dem ganzen aber eine neue Dimension. Es stellt sich die Frage, wie Südtirol motivierte und innovative, junge Menschen im Land halten kann, wenn, aus welchen Gründen auch immer, nicht einmal eine von Studenten und Studentinnen organisierte Abschlussfeier möglich zu sein scheint? Und dabei geht es ja nicht nur ums feiern und die damit verbundene Lebensqualität, es geht auch darum Orte zu schaffen, wo junge Menschen sich begegnen und austauschen können. Junge Menschen brauchen Experimentierfelder da wo Innovation entstehen soll. Sie müssen sich in Südtirol verwirklichen können und auch wollen. Laut WIFO-Studie ist die „jährliche Anzahl der Südtiroler Abwander/innen kontinuierlich auf rund 1.500 Personen (2017) gestiegen, wobei rund 70 Prozent davon akademisch gebildet sind.“

Die löblichen Investitionen der Landesverwaltung in Großprojekte konnten diesen Trend augenscheinlich nicht umkehren. Südtirol riskiert durch die Abwanderung von jungen und engagierten Menschen die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Regionen. Akademiker*innen und Fachkräfte fehlen nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in sozialen Berufen und der Kultur. Die Südtiroler Gesellschaft sollte der Jugend gegenüber offener werden und gemeinsam mit Weitsicht die Rolle der Jugendkultur als innovative Triebkraft und sozialen Stabilisator anerkennen, damit die Politik das Mandat erhält, den jungen Menschen wieder unbürokratisch Räume zugänglich zu machen, auch nach 23.00 Uhr.

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