Stories & Presse

Presse  »  Fr, 02/04/2021

Ein Jahr Pandemie - Jugend braucht Räume!

Positionspapier zur Lage der Offenen Jugendarbeit in Südtirol


Lernräume I Übungsräume I Gestaltungsräume I Bewegungsräume I Begegnungsräume I Austauschräume

Situation der Jugendlichen

Unsere Erfahrungen und Ergebnisse vieler Fachpersonen und internationaler Studien zeigen, dass Jugendliche und junge Erwachsene besonders unter dem andauernden Notzustand leiden: Einsamkeit, Perspektivlosigkeit, fehlende Strukturen, große Unsicherheiten in Bezug auf ihre Zukunft, Ängste, Stress, um hier nur einige Aspekte zu nennen.
Junge Menschen brauchen für Ihre Entwicklung essenziell den Kontakt zu gleichaltrigen Menschen (Peer to Peer Education). Durch Fernunterricht, Ausgangssperren und die lange andauernde Schließung der Schulen und Jugendzentren, Freizeit- & Sportangebote wurden Jugendlichen praktisch alle Peer-Orte genommen. Was bleibt ist der digitale Raum und das eigene Zuhause. Eine wichtige Entwicklungsaufgabe, die Ablösung vom Elternhaus, ist dadurch erheblich beeinträchtigt, da die dafür wichtigen Kontakte zu Gleichaltrigen und anderen Erwachsenen als wichtige Schlüsselpersonen verhindert werden.
Offene Jugendarbeit bietet geschützte und sichere Rahmen (Räume) für Austausch und Sozialisierung. Jugendliche benötigen auch Corona-freie Räume und Orte, wo sie ausspannen, chillen und zur Ruhe kommen können. Wo sie für einen Moment „nur Jugendliche“ sein dürfen und nichts müssen. Diesen kreativen Erholungsraum finden Jugendliche in den Räumen der OJA.
Jugendarbeiter*innen gestalten diese Lernfelder unter besonderen Rahmenbedingungen: In der Abgrenzung zur schulischen oder beruflichen Bildung ist das Beziehungsverhältnis der Erwachsenen und jungen Menschen in der Jugendarbeit vom Prinzip der Freiwilligkeit gekennzeichnet und bewirkt viel im informellen Lernsetting junger Menschen. Attraktive Formen der Kontaktaufnahme und Beziehungspflege sind bereits im Normalbetrieb ein wichtiger Baustein in der Jugendarbeit, während der pandemiebedingten Schließung von Schulen, Sport-, Freizeit- und Jugendeinrichtungen (Jugendzentren, Jugendtreffs, Jugendkulturzentren) eine echte Herausforderung. Professionelle Fachkräfte und Freiwillige der Offenen Jugendarbeit haben sehr schnell und flexibel Alternativen gesucht und in erster Linie digitale Formen der Kommunikation, Interaktion, Beratung und Unterstützung ausgebaut (Chaträume, Beratung, Spiel, #virtOJAl).
Die generelle Erfahrung ist, dass bereits vor der Krise bestehende gute Kontakte durch die Beziehungsarbeit zu den Jugendlichen aufrechterhalten werden konnten. Losere Kontakte hingegen sind vielfach abgebrochen oder konnten nicht lange gehalten werden. Wo sind diese Jugendlichen heute?

Was braucht es jetzt?

Junge Menschen brauchen für ihre Sozialisation dringend wieder realen und physischen Kontakt zu Gleichaltrigen und auch Erwachsenen außerhalb der eigenen Familie, um diese Situation zu bewältigen und auch aus der für sehr viele Jugendliche sehr herausfordernde Grenzerfahrung zu lernen.
Einige Jugendliche benötigen in diesem Prozess eine professionelle Begleitung, wie sie z.B. die Fachkräfte der Offenen Jugendarbeit leisten können, und sie benötigen verfügbare und zugängliche Räume mit regelmäßigen Öffnungszeiten, die wieder soziale Kontakte zu anderen jungen Menschen erlauben und in der Unsicherheit eine gewisse Struktur und Stabilität geben.

netz I Offene Jugendarbeit fordert deshalb ab April 2021:

Wiederaufnahme der Tätigkeitsfelder der Offenen Jugendarbeit
Aufgrund der wahrgenommenen, von vielen Fachpersonen kommunizierten und auch durch Studien belegten, starken Auswirkungen auf die Gesundheit und die Entwicklung von jungen Menschen, und um weiteren Schaden abzuwenden, fordern wir, dass die Offene Jugendarbeit die Begleitung der Kinder und Jugendlichen wieder vollumfänglich in allen Tätigkeitsfeldern bis auf Großveranstaltungen durchführen kann. Die Tätigkeitsfelder der OJA sind Treffarbeit, Kulturarbeit, Bildungsarbeit, Sozialarbeit, Prävention und Gesundheitsförderung, Öffentlichkeitsarbeit, Jugendpolitik und Service und Jugendinformation.
Die Einrichtungen der OJA erstellen dafür eigene Hygienekonzepte in Beachtung der örtlichen Gegebenheiten im Rahmen der aktuellen Vorschriften.
Freie und zeitlich unbegrenzte Bewegungsmöglichkeit über alle Gemeindegrenzen hinweg.

Partizipation & Selbstorganisation als Schlüsselbegriffe für die Zukunft

Prof. Benedikt Sturzenhecker von der Universität Hamburg im Bereich Sozialpädagogik/Außerschulische Bildung, welcher als Koryphäe der Offenen Jugendarbeit bekannt ist und gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Ulrich Deinet von der Hochschule Düsseldorf das Forschungsprojekt mit Titel „Neustart der OJA in der Corona-Zeit“ gestartet hat, beschreibt Selbstorganisation und Partizipation angesichts der aktuellen Entwicklung als Schlüsselbegriffe mit gesellschaftspolitischer Brisanz, welche künftig im Feld der Offenen Jugendarbeit unabdingbar sein werden. Unter den Bedingungen von Schließungen und beschränkter Offenheit wurden verstärkt diese zwei Arbeitsprinzipien besonders wichtig im Feld der OJA.

„Die Selbstorganisation & Partizipation der Jugendlichen sollte unbedingt gestärkt werden.“

erläutert Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker in einem Interview auf Salto.bz und spricht darin über die zukünftigen Herausforderungen, die an das Feld der Offenen Jugendarbeit herangetragen werden.

Recht auf Beteiligung nach Art. 12 UN-Kinderrechtskonvention beinhaltet nicht allein die Gewährung eines Mitspracherechts und ist nicht nur als Vorübung für spätere demokratische Meinungsbildungsprozesse zu verstehen. Partizipation als Menschenrecht umfasst die Beachtung und Anerkennung der „interaktiven Signale“ schon von Geburt an. Jedes Kind und jeder Jugendliche hat das Recht, dass die Erwachsenen ihm in seiner Individualität mit achtender Wertschätzung begegnen. Diese Entscheide müssen unter echter Einbeziehung der Dialoggruppe getroffen werden. Die Meinung von Kindern & Jugendlichen muss angemessen berücksichtigt werden. Partizipation ist ein Recht von Kindern & Jugendlichen und ein wichtiges Prinzip der Offenen Jugendarbeit.

Durch aktive Beteiligungsmöglichkeiten, Erfahrung und Erleben von Selbstorganisation (erlangen einer Selbststeuerungsfähigkeit) kann die Resilienz gesteigert werden und die Jugendlichen können sich in ihrer Selbstwirksamkeit erleben. „Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeitserfahrungen zählen neben Optimismus und sozialer Unterstützung zu den zentralen Resilienzfaktoren, die dazu beitragen, dass Kinder eine seelische Widerstandskraft entwickeln mit der Fähigkeit, nach Verlusterfahrungen (z.B. Beziehungsabbrüche) und Negativerlebnissen wieder nach vorn zu blicken, gesund zu bleiben und sich weiterzuentwickeln. Demokratisches Miteinander mit dem Schutz vor Diskriminierung und der Anerkennung von Menschen- und Kinderrechten ist in der frühen Kindheit letztlich auch ein Beitrag zum Aufwachsen in seelischer Gesundheit.“

Wenn junge Menschen ernst genommen werden, können sie in eine Gesellschaft heranwachsen, wo sie Zugehörigkeit und eine Stimme haben. Das ist eine der Voraussetzungen, dass Verantwortung für sich selbst, in der und für die Gesellschaft übernommen wird, und dass sich ein Verständnis für Demokratie entwickeln kann.
Partizipation als ein wichtiges Prinzip der OJA und Förderung der Selbstorganisation sind wichtige Beiträge der Offenen Jugendarbeit für eine offene Gesellschaft mit geteilter Verantwortung.
Um die Folgen der aktuellen Krise und das damit erweiterte Aufgabenfeld der Offenen Jugendarbeit angemessen bewältigen zu können, sehen wir die Notwendigkeit einer engeren Kooperation auf Augenhöhe mit anderen Fachdisziplinen. Themen wie Jugendarbeitslosigkeit, Gestaltung der Übergänge, Kontakt & Beziehung, Depression, Ängste, Isolation müssen von den diversen Disziplinen der Gesellschaft zusammengetragen und Lösungsansätze ausgearbeitet werden.

Die Verbandsleitung des netz | Offene Jugendarbeit

Robert Perathoner
Präsident netz | Offene Jugendarbeit
Präsident Jugendzentrum Fly Leifers

Veronika Pareiner
Vizepräsidentin netz | Offene Jugendarbeit
Ordentliches Vorstandsmitglied Jugendzentrum Loop

Wolfram Nothdurfter
Ordentliches Vorstandsmitglied netz | Offene Jugendarbeit
Geschäftsführer Jugendzentrum Papperlapapp

Florian Ploner
Ordentliches Vorstandsmitglied netz | Offene Jugendarbeit
Geschäftsführer Jugendzentrum Jux

Zeno Christanell
Ordentliches Vorstandsmitglied netz | Offene Jugendarbeit
Vorsitzender Jugendzentrum JUZE


Downloads

30/04/2021 PDF - Positionspapier netz I Offene Jugendarbeit 02.04.2021 678 KB herunterladen