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Story  »  Di, 15/01/2019

Die Rolle der jungen Frau

Erziehungswissenschaftlerin und Sexualpädagogin Tanja Stuefer gibt Einblick in die Arbeit mit jungen Frauen.


Wie nimmst du die Mädchen in eurem Jugendtreff war?
Die Mädchen, mit denen ich arbeite kommen mir oft gestresst vor. Neben Schule, Sport und Musik kommen immer weniger Mädchen ins Jugendzentrum, um ungezwungen ihre Zeit zu verbringen. Mein Eindruck ist der, dass Mädchen etwas strenger mit sich sind als die Jungs. In den sozialen Netzwerken sind gerade Mädchen noch mehr gefordert, sich positiv und schön zu präsentieren, es fällt manchen schwer zwischen Realität und Profilbild zu unterscheiden. Die Mädchen sind zu jeder Zeit schön und stylisch gekleidet. Es fehlen Räume, wo sie zwischen den ganzen Terminen aus dieser Rolle raus können.

Wie können wir uns diese Räume vorstellen?
Da gibt es die verschiedensten Möglichkeiten. Wir haben mehrere pädagogische Angebote für Mädchen. Die kreativen Nachmittage sowie die kreativen Wochen im Sommer werden gezielt von Mädchen besucht, die einfach gern basteln und sich kreativ betätigen. Zudem können die Mädchen beim Girlsday – ein Tag an dem der Jugendtreff nur für Mädchen geöffnet ist – selbst entscheiden was sie gerne machen möchten.
Macht Mädchen- und Bubenarbeit in getrennten und geschützten Räumen überhaupt noch Sinn?
Ja, vor allem in der Arbeit mit jungen Frauen sind diese Räume notwendig, um die Mädchen überhaupt zu erreichen. Es gibt immer auch Mädchen, die regelmäßig unseren Treff besuchen, die Erfahrung zeigt aber, dass durch geschützte Räume und spezifische Angebote viel mehr Mädchen den Weg in den Jugendtreff finden. Es ist auch bedeutend einfacher, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und Beziehungsarbeit zu leisten – das Um und Auf in der Arbeit mit Jugendlichen.

Was ist der Vorteil für die Mädchen?
In einer Gruppe ohne Buben können die Mädchen sich freier ausleben, sie müssen in so einem Rahmen keinen männlichen Vorstellungen und Erwartungen entsprechen. Wichtig ist uns, dass Themen, Vorschläge und Ideen von den Mädchen selbst kommen. Sie sollten die Möglichkeit haben, das zu machen was sie sonst, aus welchen Gründen auch immer, nicht machen würden.

Aber verstärken diese Methoden nicht die klassischen Rollenbilder?
Wenn die Mädchen eine Tätigkeit vorschlagen, dann kann das durchaus den klassischen Rollenbildern entsprechen: Gemeinsam Schminken zum Beispiel. In solchen Fällen bietet uns gerade der geschützte Rahmen die Möglichkeit, mit den Mädchen ins Gespräch zu kommen, zu informieren, zu reflektieren und zu hinterfragen. In diesem Fall haben wir dann natürliche Kosmetika selbst hergestellt. Manchmal laden wir auch externe Referentinnen ein, die zu einem von den Mädchen gewählten Thema, Workshops oder Gespräche anbieten. Es ist auch Raum da, um die klassischen Rollenbilder zu verlassen, wir sind zum Beispiel mit einer Gruppe von Mädchen zum Paintball-Spielen gefahren oder haben Graffitis gesprayt. Tätigkeiten, die man eher Männern zuschreiben würde. Es hängt also immer von der Begleitung der Jugendlichen ab. Wir schaffen so die Grundlage für Gespräche mit den Mädchen und da zeigt sich dann: Die Mädchen sind viel reflektierter als wir Erwachsenen das vermuten würden.

Und wo können sich Mädchen oder Jungs wiederfinden, die sich keinem Rollenbild zuordnen lassen wollen?
Es gibt Frauen, die sich in der Rolle der Männer wohler fühlen und umgekehrt, vor allem dazwischen gibt es Vielfalt. Mädchenarbeit in geschützten Räumen ist nur ein kleiner Teil unserer Arbeit. Ich glaube schon, dass im Regelbetrieb des Jugendtreffs und durch die vielen bunten Aktivitäten genügend Raum für alle Jugendlichen vorhanden ist.

Wir wissen, dass Jugendliche gerade in der Zeit der Identitätsbildung Vorbilder suchen. Wie lebt ihr Rollenbilder vor?
Zunächst besteht unser Team aus Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeitern, zusätzlich reflektieren wir uns selbst. Wir versuchen zu verstehen welche Wirkung unser Verhalten auf die Jugendlichen hat, gleichzeitig können wir ihnen nichts vorspielen, das würden sie sofort bemerken. Authentizität ist in der Arbeit mit Jugendlichen sehr wichtig. Es ist wichtig, die Jugendlichen über Gespräche zu sensibilisieren. Innerhalb des Teams haben alle den gleichen Stellenwert ohne Wertung von Mann und Frau. Die Sprache ist ebenso wichtig. Gerade durch die Wortwahl kann einiges bewegt werden, so versuchen wir nicht nur in Texten die Gendersprache zu verwenden. In der Arbeit mit den Jugendlichen sollte der Mensch im Vordergrund stehen und nicht das Geschlecht, das gilt für die Jugendlichen genauso wie für die Jugendarbeiter*innen.