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Story  »  Mi, 20/07/2022

Junge Sichtweisen auf die Arbeitswelt

Hinschauen, hinhören und auf Augenhöhe begegnen


Potenzielle Arbeitskräfte - darunter auch viele junge Menschen - können nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden oder sind schwer zu halten.

Arbeitgeber*innen verorten das Problem oftmals bei den jungen Arbeitssuchenden. Sie hätten heute kein Bock auf‘s Arbeiten, würden ständig nur ihre Freizeit bevorzugen und hätten bei Bewerbungsgesprächen zu hohe Ansprüche. Kürzlich haben sich die Landesräte Achammer und Schuler gegenüber RAI Südtirol zum aktuell herrschenden Arbeitskräftemangel differenzierter geäußert. „Wir werden die Arbeitsbedingungen verbessern, viel flexibler werden und das Lohnniveau wird steigen müssen,“ unterstrich Wirtschaftslandesrat Philipp Achammer. Agrarlandesrat Arnold Schuler spricht hingegen ein strukturelles Problem an: „Der Bedarf an Arbeitskräften steigt jedes Jahr, zudem gehen immer mehr Südtiroler in Pension, zu wenige rücken nach.“

Durch folgendes Gespräch versuchten wir Einblick in die Gedanken junger Menschen bzgl. des aktuellen Arbeitsmarkt-Wandels zu erhalten. Elia hat gerade sein letztes Jahr in der Oberschule hinter sich gebracht und blickt nun mit dem Maturaabschluss in der Tasche in die Zukunft.

Der 19-jährige hat zum Thema Arbeitsmarkt einiges zu sagen:
Elia: „Ich denke, dass es nicht mehr so ist wie früher, dass man das ganze Leben einer einzigen Arbeit nachgehen sollte. Ich merke das bei den Jugendlichen allgemein, dass sie weg wollen von dieser Monotonie und einfach mehr Abwechslung brauchen. Für Jugendliche ist es oft schwer, ein Studium auszusuchen, viele haben Angst wenn sie etwas studieren, dass sie dann ein Leben lang quasi in die selbe Rolle gezwängt werden und da nicht mehr rauskommen.“

Unsere Gesellschaft ist definitiv im Umbruch, die innere Haltung was Werte und Prioritäten im Leben betrifft, hat sich verändert. Was glaubst du, ist für junge Menschen heute wichtig?
Elia: „Ich glaube, dass Sicherheit und Stabilität immer noch sehr wichtig für die Jugendlichen sind, wenn nicht sogar mehr als früher. Auch Freizeit und Mitspracherecht ist den Jugendlichen heute sehr wichtig. In einigen Bereichen spricht man auch von der 4-Tage Woche, eine Umstellung in der Arbeitswelt, die bei der jungen Generation sehr gut ankommt und mehr Freizeit verspricht, mehr Quality-Time mit Familie, Freunden, für sich selbst. Gleichzeit ist da diese Angst, Angst vor Veränderung, und das nicht nur bei den jüngeren, sondern auch bei den älteren Generationen.“

Jugendliche wie du bringen mit ihren digitalen Kompetenzen Fähigkeiten mit, auf die es in Zukunft ankommen wird. Was für Veränderungen wünschst du dir diesbezüglich für die Arbeitswelt?
Elia: „Ein Problem in der Arbeitswelt ist das fehlende Wissen in Informatik und Technik. Ich habe selbst durch meine Arbeits- und Praktikumserfahrungen gemerkt, dass viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch sehr rückständig sind. Vieles könnte optimiert werden. Es könnte vieles einfacher geregelt werden, aber oft lässt sich die ältere Generation von uns Jungen nichts sagen. Als junger Neuankömmling in einem Betrieb will man dann auch nicht so wirken, als wüsste man alles besser. Und wenn man aber nichts sagt, kann das frustrierend sein. Es könnte eigentlich anders viel schneller, unkomplizierter und mit weniger Ressourcen funktionieren. Man hat als Jugendlicher oft das Gefühl, von den Erwachsenen unterschätzt zu werden. Außerdem sollen sie aufhören, die jungen Arbeitnehmer auszunutzen und schlecht zu behandeln, nur weil sie jung sind, ich habe vor allem in Handwerksbetrieben und in der Gastronomie sehr viel Ungerechtigkeit mitbekommen. Bei meiner Erfahrung als Praktikant in einem Hotel als Kellner hatte ich manchmal 2 Wochen nicht frei - das ist nicht ok! Oft wurde mir auch im letzten Moment erst gesagt, dass ich einen Tag frei bekomme. In der Gastronomie muss sich definitiv etwas ändern. Die Arbeitswelt sollte rationaler, konsistenter und transparenter werden, dass das, was gesagt wird, auch eingehalten wird. Impulsentscheidungen sollten nicht Platz haben.“

Zwei Jahre Pandemie haben von uns allen einiges abverlangt, vor allem Kinder und Jugendliche mussten sehr flexibel sein. Wie hast du diese Zeit wahrgenommen?
Elia: „Ich finde die Jugend war während der Pandemie, im Gegensatz zur älteren Generation, flexibler. Auch bezüglich des Umstiegs aufs Digitale konnten wir uns schnell anpassen, da ja viele von uns Jungen schon Kenntnisse im Digitalen mitbringen.“

Gegenwärtig freut sich Elia darauf, endlich das studieren zu können, wofür er sich wirklich interessiert und hier auch konkrete Praktikumserfahrungen zu machen. Bis er sich aber für einen Weg entschieden hat, hat es einige Zeit gedauert:
Elia: „In der Oberschule bekommen wir nicht richtig erklärt, wie ein Beruf wirklich ist. Man macht zwar schon Betriebsbesichtigungen, dabei sieht man die Arbeit aber nur so von außen, man erlebt nicht, wie es sich eigentlich anfühlt, diese Arbeit durchzuführen. Teilweise reichen auch zwei Wochen Praktikum nicht aus, um wirklich in den Job einzutauchen. Wir Schüler haben die Direktorin gefragt, ob wir vielleicht eine berufstechnische Orientierung bekommen könnten oder ob wir Leute einladen könnten, die über ihren eigenen Beruf erzählen, sowie vielleicht Studenten, die konkreten Einblick in ihr Studium geben können. Viele sind bei der Studienwahl sehr unsicher, sie wissen nicht was sie studieren sollen, ob sie überhaupt studieren wollen und was es sonst noch für alternative Wege geben würde. Ich habe mich letztes Jahr selbst darum gekümmert Infos zum Studium einzuholen, ich wusste nämlich gar nicht wie man sich anmeldet, bis wann ich mich anmelden muss, was es überhaupt gibt, wie ich was finden kann, usw...“

Dass sich auf dem Arbeitsmarkt und in unserer Gesellschaft einiges verändert hat, steht außer Frage. Es gibt heutzutage unendlich viele Möglichkeiten was Studium aber auch Jobs betrifft - viel mehr Auswahl und Chancen als früher. Junge Leute wollen Erfahrungen sammeln, sie wollen mitreden und mitdenken dürfen, sie wollen gehört werden. Sie wünschen sich, dass sich festgefahrene Routinen in der Arbeitswelt und auch gewohnte Muster auflösen. Bildungsinstitutionen, Arbeitgeber*innen und Mitarbeitende sollten hinschauen, hinhören und den jungen Leuten auf Augenhöhe begegnen, um an den neuen Herausforderungen gemeinsam zu wachsen.

Foto: fauxels from Pexels